Reisebericht von der Fahrradkurier-Weltmeisterschaft 2013 in Lausanne

European cycle messenger championships 2013 in Bern/SchweizAm 3ten und 4ten August war ich bei der Fahrradkurier-Weltmeisterschaft in Lausanne in der Schweiz – einer internationalen Meisterschaft bei der es darum geht den Arbeitsalltag der Radkuriere zu simulieren, wobei am Ende der und die schnellste und geschickteste Kurier_in gewinnt. Um Chancengleichheit auch für nicht-ortskundige zu schaffen findet das Rennen deshalb auf einem geschlossenen Kurs statt – in diesem Fall auf einer Gesamtlänge von geschätzten 2,5km im historischen Stadtzentrum von Lausanne. An diesem Kurs sitzen „Kunden“ in Form von Checkpoints und die Aufgabe besteht darin Kleinkram und Briefe bis hin zu riesigen Paketen so schnell wie möglich von einem Kunden zum anderen zu befördern.
Die genauen Arbeitsaufträge erhält man dabei erst zum Start und während des Rennens – das so genannte Manifest – ein Planen der optimalen Route im voraus ist somit nicht möglich sondern beginnt erst mit der Aushändigung des Manifests – gleichzeitig der „Startschuss“. Die Schwierigkeit besteht also nicht darin einfach nur kräftig in die Pedalen zu treten sondern vor allem darin gleichzeitig schnell einen Überblick über die erhaltenen Aufträge zu bekommen und eine kluge Route zu wählen um Checkpoints für eine Abholung und Auslieferung möglichst nur einmal anzufahren und damit lange Extrawege zu vermeiden. Das ist besonders wichtig, da der Kurs ausschließlich aus Einbahnstraßen besteht – an einer Abzweigung oder einem Kunden vorbeizufahren weil man im Kopf schon bei der übernächsten Abgabe ist, wird also meist mit einem langen Umweg bestraft, weil „einfach umdrehen“ nicht drin ist – und im Gegensatz zum „echten“ Kurierleben sind hier wirklich alle Verkehrsregeln ernst zu nehmen will man nicht disqualifiziert werden. Das der Kurs ausschließlich aus Einbahnstraßen besteht ist durchaus sinnvoll, da es teilweise eng wird bei bis zu 100 Menschen gleichzeitig auf dem Kurs und Gegenverkehr ein hohes Unfallrisiko wäre. Außerdem zählen natürlich Geduld bei den Kunden wenn man mal warten muss sowie Fahrrad Anschließen genauso zum Kurieralltag wie die hohe Zuverlässigkeit – Fehler wie „Sendung beim falschen Kunden abgeben“ sollten nicht passieren und schon gar nicht „Sendung oder Scheck verlieren“. Soviel zum Modus wie das ganze im Grunde abläuft.

Die Vorbereitung

Da vorher niemand weiss wie das Manifest genau aussehen wird und was es dabei zu beachten gibt, beschränkte sich meine Vorbereitung darin mir die Karte des Kurses und die Namen der Kunden möglichst gut einzuprägen und zu überlegen welche Kunden besonders lange oder beschwerliche Anfahrtswege haben, um dort möglichst Abholungen und Lieferungen zu kombinieren.
Ansonsten habe ich im Vorhinein viel darüber nachgedacht wie das Fahrrad aussehen sollte, das ich fahren wollte. Es war klar, das es steile Berge gibt und an drei Stellen sogar Treppen, die gelaufen werden müssen – aufwärts.
Dem entsprechend bevorzugte ich ein Rennrad mit Schaltung meinem eigentlich in Berlin gewohnten „Fixed-Gear“ ohne Schaltung. Außerdem habe ich wert darauf gelegt Bremsen mit hoher Bremskraft zu verbauen, da die Bergab-Passagen sehr kurvig waren. Reifen wollte ich möglichst breite haben, da der Belag zu geschätzt 20% aus Kopfsteinpflaster und 30% schlechtem Asphalt bestand und zwischendrin hohe Bordsteinkanten hatte.

Die Anreise am Freitag den 2. August war dann relativ anstrengend. Bei bis zu 36Grad 1.000km von Berlin bis Lausanne im Reiseverkehr hat einiges an Nerven gekostet. Nach zehn Stunden Fahr- und drei Stunden Stauzeit bin ich Freitag spät nachts in Lausanne angekommen und war sehr erfreut darüber, das ich auf dem ersten großen Parkplatz den ich zufällig angesteuert hatte auf andere Kuriere und Kurierinnen traf und direkt beim Parkplatz ein Bunker – wohl aus der Zeit des Kalten Krieges – als kostenlose Übernachtungsmöglichkeit von der örtlichen Feuerwehr zur Verfügung gestellt wurde. Ausgestattet mit Betten, Duschen und Toiletten war der Komfort höher als erwartet und vor allem war es angenehm kühl. Viel Zeit zum Ausschlafen blieb jedoch nicht – am Samstag konnte man ab 11 Uhr die Qualifikation zum Hauptrennen absolvieren und ich wollte auf jeden Fall vorher noch ein paar Trainingsrunden fahren, um den Kurs kennen zu lernen, und ab um 10 Uhr war der Kurs für das Lastenrad-Rennen gesperrt – ich musste also vorher da sein. Auf dem Kurs habe ich mich schnell wohl gefühlt und es hat schon richtig viel Spaß gemacht durch die Gassen der Altstadt zu fahren. Auch die Organisation des Events wirkte sehr professionell und sehr gut.

Die Qualifikation

Mit der gewohnten Stunde Verzögerung startete die Qualifikation um 12:00. Der Modus dabei war folgender: Es gab ein Manifest und alle hatten eine Stunde Zeit so viele Aufträge wie möglich zu erledigen. Wer die Stunde um eine Minute überschritten hatte bekam eine Auslieferung abgezogen bei zwei Minuten zwei, usw. Angesichts der zu erwartenden Hitze und weil anfangs der Kurs noch relativ leer war wollte ich meine Qualifikation möglichst früh absolvieren und startete Punkt 12:02. Zuerst heißt es dann eine Sekunde innehalten, die Anweisungen des Manifestes lesen und dann überlegen welche Abholung als erstes Sinn macht. Das Manifest war unterteilt in 4 Blöcke. Die in Reihenfolge abzuarbeiten waren. Block 1 waren 7 Abholungen und 9 Lieferungen wobei die Reihenfolge frei zu wählen war. Block 2 waren sechs Kunden die in Reihenfolge abzufahren waren und Block 3 waren 6 Aufträge, wobei die Abholungen in Reihenfolge, die Lieferungen aber willkürlich erfolgen konnten. An Block 4 kann ich mich nicht mehr genau erinnern weil ich gar nicht so weit gekommen war, es waren aber noch ca. 8 Aufträge, wobei die Auslieferungen in Reihenfolge erfolgen mussten.
Naja… ich gab mein Manifest nach exakt 59:14 Minuten ab und war gerade so fertig geworden mit den Blöcken 1 bis 3. Damit war ich sehr zufrieden, weil ich nicht das Gefühl hatte große Umwege gefahren zu sein und nur zwei mal kleine Umwege gefahren bin, die mir aber am Ende auch nicht die Zeit gebracht hätten einen Auftrag mehr zu erledigen. Auch wenn eine Stunde Fahrzeit vielleicht wenig klingt, weil ich als Kurier bei Fahrwerk eigentlich meist acht Stunden oder länger unterwegs bin, war ich schon richtig platt nach den sich immer wiederholenden Berganstiegen und Treppen, aber auch froh darüber das ich das Manifest relativ gut abgearbeitet hatte. Den Rest des Nachmittags hab ich dann ganz entspannt am schönen Genfer See verbracht. Am Abend kamen dann die Ergebnisse und die Gewissheit das ich mich für das Finale am nächsten Tag qualifiziert hatte – Minimalziel erfüllt und immerhin: Startplatz: 36 von 100.

Das Finale

Am nächsten Tag dann das Finale. Der Modus war: Alle 100 starteten gleichzeitig. Dazu mussten alle ihre Fahrräder im Startbereich ablegen und anschließen – je nach Startplatz vorne oder hinten. Es gibt per Megafon noch knappe Hinweise zum Rennablauf: Alle bekommen am Start ein Manifest und auch schon einen Beutel mit Dingen, die während des Rennens ausgeliefert werden müssen. Ist das Manifest erledigt muss man es zur Rennleitung bringen, die am Start sitzt und bekommt das nächste Manifest.
Wie viele Manifeste es gibt bleibt unklar – gesagt wird nur, dass das Rennen 3-4 Stunden dauert und dass die letzten die ihr Manifest abgeben, das jeweils nächste Manifest nicht mehr bekommen – also nach und nach Leute ausscheiden und das letzte Manifest nur noch von 10 Leuten gefahren wird.
Gestartet wird dann traditionell zu Fuß ca. 50 Meter hinter den liegenden Fahrrädern. Die Manifeste werden in die Räder gesteckt und los geht’s!

Großes Chaos am Start! Alle wollen natürlich möglichst schnell aus dem großen Trubel raus und schnell bei den ersten Checkpoints sein – weil es sicher zu Wartezeiten kommen wird, weil alle mit dem gleichen Manifest starten. Tatsächlich halten sich die Wartezeiten in Grenzen und die Masse verteilt sich schnell über den Kurs, weil ja auch alle andere Routen wählen und wenn man doch mal irgendwo steht hat man einen kurzen Moment zeit zu verschnaufen und in Ruhe die nächsten Touren zu planen. Das erste Manifest waren ca. 20 Aufträge in komplett beliebiger Reihenfolge zu absolvieren. Beim zweiten Manifest waren ca. 20 Kunden in Reihenfolge abzufahren, beim nächsten war es ein Manifest unterteilt in 2 Blöcke – bis dahin lief es eigentlich ziemlich gut – keine großen Umwege, ich konnte einen Teil des Manifests zusammen mit meinem Ex-Kollegen Ali fahren, der genauso weit war wie ich und ich fühlte mich noch recht fit. Beim 4ten Manifest dann ein kurzer Schock: 3 Seiten mit zusammen ca. 30 Abholungen und ca.40 Lieferungen in komplett beliebiger Reihenfolge zu absolvieren – unmöglich sich da am Anfang schnell einen Überblick zu verschaffen – also erstmal wahllos in eine Richtung gefahren und einfach bei jedem Kunden angehalten, weil es auch einfach überall etwas gab. Schließlich merkte ich bald das es doch schneller ging als erwartet weil einfach bei jedem Kunden 2-3 Abholungen und später dann 2-3 Lieferungen gleichzeitig zu machen waren und als über die Hälfte der Checkpoints abgestempelt waren ist es auch leichter den Rest noch zu planen. An welcher Position man sich befindet weis man während dem Rennen eigentlich überhaupt nicht. Die einzigen Anhaltspunkte sind die anderen, die man bei den Checkpoints trifft und deren Manifest verrät wie weit sie sind. Da trifft man dann welche die sind schon weiter und andere die sind weniger weit, aber ob man jetzt vorne dabei ist oder doch nur Mittelfeld bleibt unklar. Man kann sich nur auf sich selbst verlassen und versuchen das beste zu geben, eine möglichst sinnvolle Reihenfolge zu fahren, Umwege zu vermeiden und das nächste Manifest zu bekommen. Irgendwann war auch das 4te Manifest erledigt und ich holte das nächste ab – nur ca. 10 Aufträge. Dabei wurde mir gesagt das es das vorletzte war – das erste mal ein Hinweis darauf, dass ich ganz gut dabei war, körperlich jedoch war ich schon ziemlich am Ende, aber die Gewissheit das dies entweder mein letztes Manifest war oder ich in den Top10 landen würde trieb mich an. Gegen Ende des Manifests sagte mir jemand an einem Checkpoint das noch nicht viele mit dem 5ten Manifest bei ihm waren und das ich in den Top10 vielleicht sogar Top5 bin.
Mit den Kräften ließ aber auch die Konzentration nach und ich machte den ersten größeren Fehler. Bei einem Kunden bin ich einfach vorbeigefahren obwohl ich eigentlich etwas liefern sollte, weil ich mit dem Kopf schon weiter war. Naja – kurz geärgert, noch mal die extra runde mit dem steilen Berg gefahren und fertig. Ich bekam das nächste Manifest! Top10! Kurz mit dem Gedanken gespielt einfach aufzuhören und mich über den 10ten Platz zu freuen, weil mir jetzt nach fast 3 Stunden alles weh tat und ich echt am ende war, dann aber doch weitergemacht – das letzte Manifest waren auch nur noch 5 Aufträge. Hatte aber überhaupt keine Konzentration mehr oder Energie um die tour vernünftig zu planen und bin mit mehr glück als Verstand eine optimale Route gefahren. Die Lieferungen waren diesmal nicht wie zuvor die gewohnten kleinen Briefe oder Schlüsselanhänger sondern Kisten mit Abmessungen von ca. 150x50x30 – zu groß für die Tasche – kurz noch geärgert meinen Spanngurt nicht eingepackt zu haben der sonst zu meinem Handwerkszeug gehört – bei Fahrwerk kostet das einen Schokokuchen fürs nächste Plenum! Dann die Kartons Auftrag für Auftrag irgendwie zwischen Arme Lenker und Kinn geklemmt so dass ich gerade noch beide Bremshebel erreichen konnte – was sehr wichtig war bei den steilen bergen.
Zwischendurch noch mal bei einem Checkpoint den Hinweis gekriegt unter den Top5 zu sein und mit letzter Kraft das letzte Manifest beendet. Am Ende mega erschöpft, aber überglücklich hatte ich immer noch keine Ahnung welche Position ich hatte und dachte ich hätte beim letzten Manifest etwas Zeit verloren, aber das war mir auch egal – unter den ersten 10 zu sein, war mir mehr als genug. Anselm meinte, dann eine Stunde später dass die Ergebnisse veröffentlicht wurden und dass ich 3ter geworden bin! Damit habe ich meine eigenen Erwartungen bei weitem übertroffen. Für das Finale war mein Ziel unter den Top20 zu landen nachdem ich bei der Weltmeisterschaft 2012 in Chicago 23ter wurde. Aber 3ter? Damit hatte ich nicht gerechnet zumal ja auch schon bei der Qualifikation einige besser waren als ich.

Ein total aufregendes Wochenende für mich ging zu ende mit einer schönen Abschlussveranstaltung am Genfer See

…und nächste Woche in Berlin sind meine Aufträge hoffentlich etwas entspannter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert